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.Untertauchen war etwas für Leute, die sich wirklich schuldig gemacht hatten.Das hatte er aber nicht, und er wollte den Unschuldsstempel dafür auf die Stirn.Also blieb ihm gar nichts anderes übrig, als sich den Behörden zu stellen, die solche Stempel hatten – der Polizei, der Justiz.Nicht dass ihm seine kurze Lebensgeschichte irgendeinen Anlass geboten hätte, an deren Prinzipien zu glauben.Trotzdem würde er genau das jetzt versuchen.Ein Polizist in Khakiuniform mit Epauletten klebte hinter einem grauen Metalltresen.Als er Abdul sah, stand er überrascht auf.Er hatte einen Schnauzbart und darunter fette, fischartige Lippen, an die erinnerte Abdul sich später ganz genau – vor allem daran, wie sie immer erst etwas aufschnappten, bevor der Mann lächelte.Teil EinsDie Unterstadt und ihre BürgerDie reden alle so in Annawadi –na, mein Sohn wird mal Doktor, Anwalt,und der macht uns reich.Reine Einbildung,sonst gar nichts.Dein Bötchen segeltnach Westen, du klopfst dir auf dieSchulter: »Was bin ich für’n tollerSteuermann!« Und dann fegt der Winddich doch nach Osten.Karam Husain, Abduls Vater1.AnnawadiKurz anhalten, Standbild von dem Moment, in dem Officer Fischmaul und Abdul in der Polizeiwache aufeinandertreffen.Zurückspulen, Abdul im Schnelllauf rückwärts, raus aus der Wache, weg vom Flughafen, zurück nach Hause.Flammen, die eine behinderte Frau in einer rosageblümten Tunika umzüngeln, schließlich zusammenschnurren zu einem Streichholzbriefchen auf dem Boden.Fatima, die ein paar Minuten vorher zu einem heiseren Liebeslied tanzt, auf Krücken, die feinen Gesichtszüge noch unversehrt.Noch weiter zurückspulen, sieben Monate früher, anhalten bei einem ganz normalen Tag im Januar 2008.Die Jahreszeit etwa so verheißungsvoll wie in all den Jahren, seit dieser Slum zusammengezimmert worden war, in der größten Stadt eines Landes, in dem ein Drittel aller armen Leute dieses Planeten lebt.Eines Landes, dem vor lauter Entwicklung und umlaufenden Geldmengen ganz schwindelig ist.Der Tag war mit Böen angebrochen, wie oft im Januar, dem Monat der verhedderten Drachen und vergrippten Köpfe.Weil auf dem Fußboden der Hütte nicht genug Platz zum Schlafen für die ganze Familie war, lag Abdul im Kies auf dem Maidan, der einigen Husain-Kindern seit Jahren als Bett diente.Vorsichtig stieg seine Mutter über einen seiner jüngeren Brüder, dann noch einen und bückte sich zu Abduls Ohr.»Wach auf, du Trottel!«, flachste sie.»Oder bist du neuerdings Traumarbeiter?«Der abergläubischen Zehrunisa war aufgefallen, dass die Tage, an denen sie ihren Ältesten morgens mit Schimpftiraden überzog, oft mit den besten Gewinnen endeten.Und da die Januareinnahmen eine tragende Säule im jüngsten Husainschen Plan waren, aus Annawadi zu entkommen, hatte sie sich dieses Geschimpfe zur Gewohnheit gemacht.Abdul wachte auf, ohne groß zu klagen, denn seine Mutter duldete nur eine einzige Art Klagen, und das war ihr eigenes.Außerdem hatte diese Morgenstunde immer etwas Sanft-Gemächliches, in ihr erschien ihm Annawadi am wenigsten hassenswert.Die bleiche Sonne legte einen funkelnden silbernen Zauber über den Klärteich, und noch waren die Papageien, die am gegenüberliegenden Ufer nisteten, deutlicher zu hören als die Flugzeuge.Nebenan, vor den teilweise nur von Stricken und Klebeband zusammengehaltenen Hütten, machten sich Nachbarn mit feuchten Lappen diskret frisch.Kinder in Schuluniform mit Schlips schleppten töpfeweise Wasser von der öffentlichen Pumpe herbei.Vor dem orangeroten Betonklotz mit den öffentlichen Toiletten stand eine träge Schlange.Selbst die Ziegen hatten noch schlafschwere Augen.Es war ein kurzer Augenblick intimer Häuslichkeit, bevor die große Jagd nach der winzigen Marktnische wieder losging.Ein Bauarbeiter nach dem anderen zog zu einer Kreuzung voller Menschen, an der Bauaufseher sich Tagelöhner aussuchten.Junge Mädchen flochten Girlanden aus Ringelblumen, die sich später an Autofahrer auf der Airport Road verhökern ließen.Ältere Frauen nähten rosarote und blaue Flicken auf Baumwollquilts, für eine Firma, die Stücklöhne zahlte.In einer kleinen, brütend heißen Plastikfabrik kurbelten Männer mit nackten Oberkörpern an Maschinen herum, die die bunten Kügelchen zu Verzierungen für Autorückspiegel verarbeiteten – grinsende Entchen und pinkrosa Katzen mit Halskettchen –, und konnten sich nicht vorstellen, dass irgendwer irgendwo so was kaufte.Und auf dem Maidan ging Abdul in die Hocke und machte sich ans Sortieren der Abfallankäufe von zwei Wochen, wobei ihm das fleckige Hemd die knorrige Wirbelsäule hochrutschte.Im Allgemeinen hatte er seinen Nachbarn gegenüber die Einstellung: »Je besser ich euch kenne, desto unsympathischer finde ich euch und ihr mich umgekehrt auch.Also bleiben wir lieber jeder für sich.« Wenn er allerdings wie an diesem Morgen ganz in seiner Arbeit aufging, konnte er sich sogar vorstellen, Seite an Seite mit seinen annawadischen Kollegen zu schuften.Annawadi lag knapp zweihundert Meter neben der Airport Road, der Trennlinie, an der das neue Indien und das alte Indien aufeinanderprallten und das neue Indien kurz ins Hintertreffen geriet.Die Fahrer in den Geländewagen hupten erbost, wenn wieder mal die Botenjungen vom Hühnerladen im Slum auf ihren Fahrrädern ausschwärmten, ein Gestell mit dreihundert Eiern auf dem Gepäckträger.Annawadi selbst war nichts Besonderes, ein Slum wie alle anderen in Mumbai.Die Häuser waren windschief, alles, was ein bisschen weniger windschief war, sah folglich aus wie gerade.Und Klärteich und Kranksein sahen aus wie das Leben.Der Slum war 1991 von einem Trupp Saisonarbeiter errichtet worden, die aus dem südindischen Bundesstaat Tamil Nadu angekarrt worden waren, um eine Startbahn auf dem internationalen Flughafen auszubessern.Nach getaner Arbeit hatten sie jedoch beschlossen dazubleiben, dicht beim Flughafen und den verlockenden Aussichten auf weitere Baustellen.In einer Gegend, in der herrenloser Grund und Boden kaum noch vorhanden war, schien eine matschige Brache voller Schlangen und Gestrüpp direkt an der Straße zum internationalen Terminal nicht der schlechteste Ort zum Leben.Anderen armen Leuten war die Stelle zu feucht zum Wohnen, die Tamilen dagegen machten sich an die Arbeit, hackten das Gestrüpp weg, in dem die Schlangen hausten, schaufelten Dreck aus trockeneren Ecken zusammen und füllten das Schlammloch damit auf.Nach einem Monat kippten die Bambusstangen schon nicht mehr vornüber, kaum dass sie sie in den Boden gerammt hatten.Sobald sie sicher hielten, wurden leere Zementsäcke als Decke darübergespannt, und so entstand allmählich eine Siedlung.Den Namen gaben ihr die Bewohner der Nachbarslums: Annawadi – Land der annas, eine respektvolle tamilische Bezeichnung für große Brüder.Für tamilische Migranten waren sonst eher weniger respektvolle Bezeichnungen in Umlauf.Aber die anderen armen Unterstädter hatten gesehen, wie die Tamilen mit viel Schweiß den Morast in festen Boden verwandelt hatten, und dass sie so schuften konnten, hatte ihnen eine gewisse Hochachtung eingetragen.Siebzehn Jahre später galt in diesem Slum nach offiziellen indischen Maßstäben niemand mehr als arm.Die Annawadier gehörten sogar zu den etwa hundert Millionen Indern, die nach 1991 von Armut befreit worden waren.Seit diesem Zeitpunkt, also etwa seit der Gründung des kleinen Slums, trieb die indische Bundesregierung die Liberalisierung der Wirtschaft energisch voran.Und so wurden die Annawadier Teil einer der mitreißendsten Erfolgsstorys in der modernen Geschichte des globalen Marktkapitalismus, ein Narrativ, das noch lange nicht zu Ende erzählt ist.Sicher, nur sechs der dreitausend Einwohner des Slums hatten einen festen Job
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