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.Dass jedes Wort im Zusammenhang der Erinnerung an den Holocaust mit besonderem Bedacht gewählt sein will, gilt den Feinden der Bundesrepublik auf der Rechten seit jeher als verräterisches Signum ihrer Unfreiheit.Aber dass man im bürgerlichen Leben auf den Ton der eigenen Äußerungen achtet, zumal dann, wenn man nicht alle Adressaten persönlich kennt, bezeichnet das Zivile an der zivilisierten Kommunikation.Man muss bei jedem Thema darauf gefasst sein, dass die Schicklichkeit einem nahelegt, nicht von jeder rechtlich gegebenen Möglichkeit der Meinungsäußerung, das heißt der Adressierung, Akzentuierung und vor allem der Lautstärke, tatsächlich auch Gebrauch zu machen.Die Gegenstände der NS-Vergangenheit und des Verhältnisses von Deutschen und Juden bezeichnen insoweit gar keine Ausnahme.Die Sarrazin-LegendeDas gehört jetzt aber nicht hierher: ein alltäglicher Einwurf in einer beliebigen Diskussion.Das gehört sich nicht: ein weniger alltäglicher, aber immer noch normaler Anwurf.Stillschweigend ist immer zu ergänzen: Das gehört sich jetzt und hier nicht, zu dieser Zeit, vor diesem Publikum, in diesem Forum, im Nachmittagsprogramm, in einem Saal voller Krebskranker, im Bundestag.Gewöhnlich braucht man nur zu sagen: Das gehört sich nicht; in welchem Forum die Diskussion stattfindet, ist allen Beteiligten bekannt.Der Gebrauch dieses Arguments setzt selbst wiederum moralische Klugheit voraus: Es zielt auf die Person des Angesprochenen und exponiert daher auch die Person des Sprechers.Wer bestimmte Argumente, Tonfälle, Zungenschläge als unpassend qualifiziert, setzt sich immer dem Risiko aus, als Spießer, Spielverderber und Sprachpolizist dazustehen.Er kann sich die Antwort einfangen: Gerade dieses drastische Wort oder Bild ist erst recht am Platz.Die gesetzlichen Monarchien des Abendlands unterscheiden sich vom orientalischen Despotismus dadurch, dass der Untertan sich vom schlecht informierten König an den besser zu informierenden König wenden kann.Man unterstellt, der König habe gar nicht gewusst, welchen Willkürakt er da anordnete, sei schlecht beraten gewesen und könne sich ohne Gesichtsverlust korrigieren.Nach diesem Modell wird noch heute in jedem demokratischen Streit der kränkende Effekt moralischer Urteile neutralisiert.Man appelliert, wenn man zu verstehen geben will, etwas wäre besser ungesagt geblieben, vom unvorsichtigen an den einsichtsfähigen Mitbürger und Mitherrscher.Solche Rügen geben zu verstehen: Das haben Sie doch nicht so gemeint! Das können Sie doch nicht ernsthaft gesagt haben wollen! Die Person, die sich den Fehltritt vorhalten lassen muss, bekommt die Gelegenheit, sich mit Anstand aus der Affäre zu ziehen.Im Englischen drückt den Umstand, dass es kein ziviles Zusammenleben ohne Sprachregelungen gibt, das klare Wort von der «polite society» aus.Es gibt Wörter, die man «in polite society» nicht in den Mund nimmt.Die friedliche Gesellschaft ist eben die höfliche.Den Achtundsechzigern wird gerne vorgeworfen, sie hätten der Höflichkeit den Garaus gemacht und die Entzivilisierung, deren Fanale sie im Hörsaal setzten, in den Alltag hinübergetragen.Wie viel Zuspruch Sarrazin in den Kreisen gefunden hat, in denen der Vorwurf zirkuliert, das ist eine Ironie der Geschichte, die wenig froh stimmen kann.Bedenklich nannte es Alan Posener im Dezember 2009 in der «Welt», dass ein bürgerliches Publikum auf einmal Geschmack an der Regelverletzung fand.Es applaudierte dem Bundesbankvorstand, der auf Zuwanderer schimpfte, und dem Hochschulrektor, der gegen die Kleptokratie des Fiskus wetterte.Posener sah sich zu einer Apologie der politischen Korrektheit veranlasst.Was unter diesem Namen attackiert werde, seien die Anstandsregeln des zivilisierten Umgangs.Sarrazin und Sloterdijk hätten überhaupt nichts Neues, aus der politischen Debatte Ausgeschlossenes zur Sprache gebracht.«Dass die Steuer- und Abgabenlast für die Mittelschicht zu groß, die Integration von Einwanderern nicht leicht und das Entstehen eines von Sozialhilfe abhängigen Subproletariats für das Gemeinwesen fatal ist, wird ja von niemandem bestritten.Der Beifall gilt gerade der Emphase; dem Gestus des Aufstands; den Übertreibungen und Geschmacklosigkeiten - eben dem Angriff auf den Anstand.»Der erzaufklärerische Historiker Edward Gibbon wollte das Christentum diskreditieren, indem er aus den Quellen nachwies, dass viel weniger Christen auf Befehl der Kaiser umgebracht worden seien als in der hagiographischen Überlieferung behauptet.Doch durch Quellenkritik war nicht zu revidieren, dass der Glaube die Märtyrer gemacht hatte, was immer auch in der Arena geschehen sein mochte.Auch um Sarrazin bildete sich schon nach dem «Lettre»-Interview in erstaunlicher Schnelligkeit eine Gemeinde.Seine frühere, eigentlich rein lokale Beliebtheit hatte damit fast nichts zu tun: der berlintypische bunte Vogel, hier die Krähe, die allen anderen Krähen die Augen aushackt.Auf einem Altarbild müsste man den heiligen Thilo mit der Zunge in der Hand darstellen, die die Folterer ihm abgeschnitten haben.Nicht dass er wirklich verstummt wäre!Peter Sloterdijk musste sich dumm stellen, um die Behauptung in die Welt zu setzen, Sarrazin habe wegen freimütigen Gebrauchs der Redefreiheit die Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz fürchten müssen.Als Mitglied des Bundesbankvorstands war Sarrazin nun einmal mehr als ein Meinungsbesitzer, wurde nicht wie ein Philosophieprofessor nur fürs Meinen bezahlt.Mit einem Jahr Verzögerung trat, von Sarrazin selbst provoziert, der schlimmste Fall ein: Der ohnehin bevorstehende Ruhestand ereilte ihn ein klein wenig früher.Aber wenn es darum ging, die Wahrheit in Umlauf zu bringen: Musste das nach den Maßstäben Sloterdijks, des Philosophen der verschwenderischen Gabe, nicht einen Abstrich an der Pension wert sein? Und wie sollte der Bund der Feiglinge die Markteinführung dieser Wahrheit mit Existenzvernichtung bestrafen können, wenn auf dieselbe Wahrheit schon Existenzen gegründet worden sind? Neda Kelek ist das sogar ohne ein Existenzgründerdarlehen gelungen, wie es der Gemüsehändler bekommt.Sarrazins Kritiker haben ihm nicht die Meinungsfreiheit abgesprochen, die nach Artikel 5 des Grundgesetzes jedermann zusteht.Es liegt bloß in der Natur dieses Grundrechts, dass sein Gebrauch sehr häufig in der impliziten und expliziten Kritik des Gebrauchs besteht, den ein anderer von ihm macht.Inwieweit aus Sarrazins Amtspflichten in der Bundesbank folgte, dass er sich Zurückhaltung im Gebrauch seiner staatsbürgerlichen Rechte aus Artikel 5 aufzuerlegen hatte, war eine dienstrechtliche Frage, die bei einem Staatsunternehmen dieser symbolischen Bedeutung allerdings die Öffentlichkeit anging.Die meisten derer, die für Sarrazin zur Feder griffen, würden sich wahrscheinlich als bürgerlich beschreiben, viele wohl auch als konservativ.Es war frappierend, dass diese Verteidiger Sarrazins für ein Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt keinen Sinn aufbringen wollten: den Gedanken der Rolle und der aus ihr fließenden formellen und informellen Pflichten.Sarrazin war Mitglied einer Institution und wurde bei allen seinen öffentlichen Einlassungen als Mitglied dieser Institution wahrgenommen
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